Der ganz normale Wahnsinn: ein Arbeitstag von Recruiter M.
Ein Protokoll. (Fast) alles wahr. Ehrlich.
Es ist Dienstag, Mitte September. Ich habe gut geschlafen, die Sonne scheint, der sonst ewige Stau hält sich in Grenzen. Der zweite Kaffee wird standesgemäss im Büro getrunken. Er zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Life is good! Meinen Tagesplan bin ich gedanklich schon im Auto durchgegangen: ein Kandidaten Interview, zwei interne Meetings, Kandidatenshortlists generieren zu 2 Projekten, div. Rücksprachen mit der Linie, Budgetplanung fürs nächste Jahr, E-Mail Kram, ein paar Telefonate. Sollte machbar sein.
7:45 Den Computer starten und den betörenden Kaffeeduft nochmals kräftig inhalieren. Seit dem letzten Sicherheitsupdate dauert das Prozedere noch länger als gewohnt. Man gewöhnt sich daran und überbrückt die Zeit mit den üblichen Ritualen: Papierkram ordnen, ein kurzer Rundgang. Sind ohnehin noch nicht viele hier.
8:15 Das Telefon klingelt. Um diese Zeit? Ach du meine Güte… Ich greife zum Hörer. Aha, die nette Lady von jobs.ch, ach nein, die heissen jetzt JobCloud, ist eine ganz frühe. „Wissen Sie, wegen dem Kontingent. Der Vertrag sollte erneuert werden. Sie profitieren dank der Übernahme diverser Marken von noch mehr Reichweite. Sie verstehen sicher, dass wir deswegen die Preise etwas erhöhen müssen. Und wir haben jetzt dieses tolle Angebot der CV Cloud. Da können Sie auch aktiv nach Kandidaten suchen. Darf ich Ihnen gleich ein Kombi-Angebot machen?“ Uff… etwas gar früh für solche Gedanken… „Machen Sie mir doch einmal eine schriftliche Offerte und melden Sie sich in einer Woche nochmal.“ Mir ist’s noch nicht nach Verhandlungen und Kalkulationen…
8:45 Das Telefon klingelt erneut. Nun, meine Stimme scheint zu funktionieren. Normalerweise telefoniere ich selten vor 9.30. Ich möchte mich erst ordnen und Mails abarbeiten. „Grüezi“, meldet sich der Herr, „ich bin von Buddybroker und möchte Sie fragen, welche Aktivitäten Sie im Social Recruiting bereits unternehmen.“ „Buddy who?“ denke ich mir, sage aber nichts dergleichen und höre weiter zu. Ich kriege einige Erklärungen und bin dennoch verwirrt. Irgendwie klingt es aber trotzdem interessant und ich stimme einem persönlichen Termin in vier Wochen zu.
9:15 Das Telefon klingelt. Schon wieder?…. „Grüezi, ich bin von NZZ Jobs und wollte mich erkundigen, wie zufrieden Sie mit dem Test unseres Angebotes sind“, höre ich da. Test? Stimmt, da war doch was. Himmel, das habe ich noch gar nicht geprüft. Der Herr wird sicher Verständnis haben und das Test-Angebot um 2 Wochen verlängern. Er tut es, und ich habe ein wenig ein schlechtes Gewissen. Ich werde die Performance prüfen.
9:30 Das erste interne Meeting. Ganz ok. Keine besonderen Vorkommnisse.
10:00 Ich höre das Telefon schon von weitem klingeln und setze mir zum Ziel, es rechtzeitig zu erreichen. Es gelingt mir. Noch im Stehen höre ich eine Dame: „Grüezi, Sie sind ja für das Personalmarketing und Recruiting verantwortlich, richtig? Haben Sie sich schon einmal überlegt, mit Videos zu arbeiten? Das macht Sinn wegen den Emotionen, wissen Sie.“ Ähmm… ja. Das tut es. Weiss ich doch. Aber ich hatte schlichtweg keine Zeit, mich darum zu kümmern. Und ich bin mir nicht so sicher, wie die Mitarbeiter darauf reagieren werden. Die sind in der Regel eher zurückhaltend in solchen Angelegenheiten. „Von wem sind Sie denn?“, frage ich. „Livejobs? Ah, ok…“. Ein weiterer Termin wird verlangt. Ich werde mich in einer Woche mit ein paar Vorschlägen melden. Videos beschäftigen mich schon lange.
10:15 Eigentlich wollte ich den Hörer gerade ohnehin abnehmen, um ein Gespräch zu führen. Das Klingeln kommt mir jedoch zuvor. „Guten Tag, ich bin von Xing und rufe aus Deutschland an“, erfahre ich. „Sie sind sicher auf der Suche nach den besten Talenten und wissen auch, dass sich diese über eine aktive Ansprache am besten finden lassen.“ „Spannend, was diese Anbieter alles über mich zu wissen glauben“, geistert es mir durch den Kopf und merke an, dass der Zeitpunkt für dieses Gespräch nicht eben günstig ist. Um 10.30 habe ich ein Interview und ich will mich, wenn auch kurz, schon noch etwas vorbereiten. Ich vertröste die Dame auf einen späteren Zeitpunkt.
10:30 Das Interview war sehr ansprechend. Ich werde der Linie meine Empfehlung aussprechen.
11:30 Das Telefon klingelt. Was ist denn heute los? „Hi, this is Ian from LinkedIn. I’m calling you from Dublin“. Schön, ich geniesse internationale Aufmerksamkeit. Gar nicht so schlecht für einen KMU. Und irgendwie wollte ich schon immer mal wissen, was denn die Vorteile von LinkedIn gegenüber Xing sind. Oder eben auch nicht. Ich höre Ian’s Argumenten aufmerksam zu und bitte ihn, das Gespräch zusammen zu fassen und eine Offerte zu erstellen. Ich soll also „active sourcen“ meinte er. Ich frage mich bloss wie. Schliesslich sind wir bei uns im HR schon ziemlich gut ausgelastet.
11:45 Es klingelt. Natürlich, what else? „Arbeiten Sie oft mit Headhuntern und Personalvermittlern?“, fragt mich eine angenehme Stimme am anderen Ende des Drahtes. „Ja, immer mal wieder“, antworte ich und scheine damit der Erwartung der Anrufenden entsprochen zu haben. „Aber ich habe meine Partner und bin nicht an Neuen interessiert“, schiebe ich nach. „Sie wissen aber schon, dass Sie massiv Kosten sparen können, wenn Sie solche Aufträge auf unserer Plattform ausschreiben und sich Anbieter gegenseitig mit Festpreisgarantie um Ihren Auftrag bemühen? Sie tragen keinerlei Risiko!“ Nein, diese Art von Ausschreibung kenne ich nicht. Aber Kosten sparen ist immer ein Thema. Schliesslich wollte ich mich heute um das Budget fürs nächste Jahr kümmern. Ich willige auf einen Termin mit Talentory ein. Man lernt schliesslich nie aus.
12:00 Es klingelt. Arrghh… Hallo, wissen die nicht, dass es Mittagspausen gibt?! Ein Minuspunkt schon vor dem eigentlichen Gespräch… Aha, ein Personalvermittler, den ich nicht kenne. Da gibt’s noch einige mehr davon. Ich unterbreche ihn höflich, aber bestimmt. Heute sicher nicht. Und in Zukunft lieber auch nicht. Zeit, das Knurren im Magen ernst zu nehmen.
12:40 Das Essen war mal wieder eher Nahrungsaufnahme, als kulinarische Bereicherung. Wenigstens habe ich mich mengenmässig zurück gehalten, um nicht in frühnachmittagliche Sättigungsmüdigkeit zu verfallen…
12:55 Das Telefon klingelt. Eine sympathische Stimme will mir erklären, wie ich Ambassadoren online für mein Recruiting einsetzen kann. „Recomy? Nein, nie gehört“, kläre ich die Dame auf. Und irgendwie ist meine Empfänglichkeit für „Cold Calls“ für heute und die nächsten Tage bereits ausgereizt. Aus professionellen Gründen möchte ich zuhören, schliesslich lernt man nie aus. Andererseits habe ich auch noch anderes zu tun. Ich sage ihr, dass sie sich in drei Monaten nochmals melden soll.
13:30 Das zweite interne Meeting entsprach den Erwartungen. Wenigstens keine interne Reibereien. Das war auch schon mal anders…
14:15 Soeben habe ich den Excel-Chart mit der Budgetplanung 2014 geöffnet. Den kenne ich ja. Er hat sich nicht gross verändert in den letzten 3 Jahren. Ausser, dass mein Budget konstant gegen unten angepasst wurde. Das Klingeln des Telefons fegt meinen aufkommenden Frust beiseite. „Kader und Fachkräfte gezielt ansprechen?“ Das habe ich heute auch schon mal gehört. „Von Experteer sind Sie, sagen Sie?“. Da habe ich schon mal Banners gesehen beim Surfen, erinnere ich mich. Die scheinen lediglich Stellen mit einem Jahresgehalt von über 120’000 CHF zu besetzen. Da brauche ich gerade niemanden.
14:45 Der Budget-Chart ist immer noch vor mir, immer noch leer. Das heisst, ich könnte es mir ja einfach machen und die letztjährigen Zahlen und Massnahmen eins-zu-eins übernehmen. Natürlich um 10% runter getrimmt. So will es die Vorgabe des CFOs. Soll ich denn überall gleich kürzen? Oder etwas an den Massnahmen verändern? Ich bin unsicher…
15:15 Das Telefon klingelt. Oh! Wiener Schmäh gefällt mir! Die haben alleine dadurch Bonuspunkte, aber eigentlich möchte ich Budgetzahlen schieben. „Employer Branding durch Mitarbeitervideos?“ Habe ich heute auch schon mal gehört. Der Ansatz von whatchado scheint interessant zu sein, aber ganz verstanden habe ich ihn nicht. Ich konnte und wollte auch nicht lange zuhören. Ich verabrede mich für einen Telefontermin in zwei Wochen. Schon der zweite Video-Anbieter heute…
15:30 Zur Abwechslung klingelt mal das Telefon… Ich sollte endlich ein Headset haben. Das entlastet meine Nackenpartie und befreit mich hoffentlich von meinen Schmerzen. „Ja, von Silp habe ich schon mal was gehört“, sage ich. Die waren doch irgendwie mal über Facebook sehr aktiv. „Vieles neu, integrierter Ansatz, ohne selber zu suchen?“ Klingt doch gut. Arbeitsentlastung passt immer. Obwohl: Neues bringt erstmal ein gutes Stück Mehrarbeit mit sich. Es geht mir durch den Kopf, dass, wenn ich alle Anbieter berücksichtigen würde, ich wohl der preisgekrönteste HR-Mensch aller Zeiten würde…
16:30 Endlich mal „richtig“ gearbeitet. Ein paar Mails beantwortet und Dossiers qualifiziert. Mit ein paar Leuten gesprochen und zur Abwechslung auch noch interne Telefonate geführt.
17:00 Aha. Das wohlvertraute Klingeln. Also eigentlich ist es ja gar kein Klingeln, seitdem ich von Jack Bauers 24 inspiriert wurde. Nein, es ist kein Geheimdienst Agent, der sich meldet. Vielmehr möchte mich jemand überzeugen, weshalb es wichtig ist, das ganze Team in einer Anzeige darzustellen. Eqipia heisst die Firma resp. das Tool. Nomen est omen. Ich fühle mich leider gerade nicht mehr so teamfähig und muss den sicher stimmigen Argumenten für heute eine Absage erteilen. Was nicht ist, kann ja noch werden…
17:50 Das Telefon klingelt. Habe es schon fast ein bisschen vermisst… Ja, von Monster hatte ich dieses Packet, um in Deutschland zu rekrutieren. Schliesslich scheint der hiesige Kandidatenmarkt reichlich ausgetrocknet. „Was, das Paket muss bereits wieder verlängert werden?“ Hmmm… soll ich oder soll ich nicht? „Machen Sie mir doch ein vernünftiges Angebot, bitte!“ Der Hartnäckigkeit nach zu urteilen, ist der Verkäufer im Quartals-Abschlussstress… ich habe Verständnis.
18:30 Wie meistens lasse ich den Tag noch einmal an mir vorbeiziehen und kontrolliere meine Notizen. Insgesamt 14 externe Dienstleister waren es heute. Und alle haben irgendwas mit Recruiting zu tun. Krass. Vieles klang spannend, einiges war ziemlich erklärungsbedürftig. Ich bin verwirrt, ich gebe es zu. Ich finde kaum die Zeit, mir grundsätzlich Gedanken zum Recruiting zu machen. Und der Budget-Chart ist nicht viel voller als zuvor. Zudem wollte ich mir schon lange vertieftere Gedanken machen, wie ich die altbackenen Anzeigen neu gestalten könnte. Und den Recruiting-Prozess will ich auch endlich mal elektronisch abbilden. Die Karriereseite hätte in 2001 vielleicht einen Preis gewinnen können, heute ist sie ein Ärgernis. Und scheinbar wollen die Leute draussen Anzeigen neu auch auf dem Handy lesen können. Und eine HR-Präsenz in Social Media scheint auch nichts zu schaden.
Bevor ich mir vor dem nach Hause gehen zusätzlichen Druck aufbaue, schliesse ich mein Notebook und nehme mir vor, morgen den Ganouchi zu kontaktieren. Der soll mir mal eine Auslegeordnung machen…
Damit die Arbeit auch mal beschwingt in Angriff genommen werden kann, hier eine kleine Motiviationsspritze:
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