6 Fragen an: Dr. Roger Gfrörer, Leiter Career Services Universität Zürich
Die Gymnasialzeit war nicht nur lehrreich, nein, sie bot auch erste Gelegenheiten, sich ein Netzwerk aufzubauen, das einem vielleicht später einmal von Nutzen sein kann. Natürlich war ich mir dessen überhaupt nicht bewusst. Es hat mich auch nicht interessiert… Da war Fussball/Badminton- und Gitarrespielen, z.Bsp. so wie er ->
definitiv angesagter. Spannend wird es dann, wenn man über 20 Jahre später merkt, dass es Kollegen gibt, die nun in einem ähnlichen beruflichen Umfeld agieren, wie man selber. So auch Roger Gfrörer, damals Gymischüler der Kantonsschule Wiedikon und wie ich FCZ Fan, so dass man sich auch mal vor und im Stadion trifft. Zeit, ihm ein paar Fragen zu stellen. Schliesslich ist er mittendrin im studentischen Umfeld und an den gesuchten Fachkräften der Generation Y.
1. Roger, als Leiter Career Services der Uni Zürich bist du genau an der Schnittstelle zwischen Absolventen und ihrer Integration ins Berufsleben. Welche drei grössten Herausforderungen siehst du momentan für die Absolventen?
Die Career Services existieren seit 5 Jahren, mein Blick umfasst also diese Zeitspanne. Zudem beruhen unsere Erfahrungen auf den Studierenden, mit denen wir Kontakt haben. Ich nehme an, dass sich die Hauptherausforderungen über die Zeit wenig verändert haben: sich der eigenen Stärken bewusst sein, sich über den Arbeitsmarkt zu orientieren und die Bewerbungsprozesse professionell anzugehen. Neu glaube ich kommen folgende Punkte hinzu:
- Reform der Hochschulbildung (Bologna): Mit der Einführung von Bachelor und Masterabschlüssen ist es für viele Fachrichtungen schwierig, den Wert des Studienabschlusses einzuordnen. Es gibt (auch auf Arbeitgeberseite) noch zu wenig Erfahrungswerte und viele unklare Signale. Und dann darf man nicht vergessen, dass sich mit der Reform auch die Hochschul-Bildungslandschaft verändert: Die Universitäten und Fachhochschulen beginnen sich verstärkt zu profilieren und positionieren. Damit wird es auch schwieriger, einen Hochschulabschluss einzuordnen, zumindest solange keine Erfahrungswerte vorhanden sind.
- Volatilität der Arbeitsmärkte: In gewissen Branchen herrscht eine grosse Volatilität. So kann es sein, dass sich die Rahmenbedingungen zwischen Studienbeginn und Studienabschluss völlig geändert haben. Eine Sicherheit, wie sie vor 15 Jahren noch herrschte (und wie sie die Eltern der aktuellen Studierendengeneration noch erlebten) gibt es nicht mehr. Die Studierenden gehen mit dieser Situation erstaunlich gelassen um.
- Karriereorientierung/Werthaltigkeit der Arbeit: Die Studierenden suchen mehr als nur finanzielle Werte in ihrer beruflichen Tätigkeit. Die meisten Unternehmen tun sich schwer, diese anderen Werte zu kommunizieren, und sind deshalb auch nicht wirklich Traumarbeitgeber für die Studierenden. Zudem sind die Karrierevorbilder stark durch tradierte Modelle geprägt, auch hier gibt es eine gewisse Orientierungslosigkeit – oder sagen wir es so: Gelassenheit.
2. Der Fachkräftemangel ist in aller (HR-) Munde. Führt das bei Studierenden zu einem Gefühl der Selbstsicherheit? Spüren diese die Veränderung hin zum Kandidatenmarkt konkret und wie äussert sich das? Und wenn nicht, wieso nicht?
Der Fachkräftemangel ist in meinen Augen ein hypothetisches Konstrukt: Niemand kann mir eine klare Definition geben, was mit Fachkräften gemeint ist. Wenn damit das spezifische Fachwissen gemeint ist, gibt es natürlich Fachbereiche, in denen die Absolvierenden wissen, dass sie auf dem Arbeitsmarkt gesucht sind. Es gibt aber auch Branchen, die uns zu verstehen geben, dass das Wissen aus dem universitären Studium nett, aber für ihr Unternehmen nicht relevant ist.
Die Universität bildet nicht aus, sondern entwickelt kritisch denkende, analytisch handelnde und nachvollziehbar argumentierende Menschen, die zudem höchst lernfähig und in der Regel auch motiviert sind. Wenn die Arbeitgeber hier etwas mehr über ihren Tellerrand hinausschauen würden und sich zum Beispiel bzgl. des branchenspezifischen Erfahrungsniveaus oder der gesuchten Fachrichtung flexibler zeigten, könnte einiges an Mehrwert erzielt werden – auf Arbeitgeber wie Absolvierendenseite.
Grundsätzlich ist es aber so, dass sich die Studierenden an der Universität Zürich den Bemühungen der Arbeitgeber gegenüber eher zurückhaltend zeigen. Ob das aufgrund der Selbstsicherheit geschieht, aus Gründen der Fokussierung auf das Studium (die zeitlichen Anforderungen haben hier zugenommen) oder aus Misstrauen kann ich nicht beurteilen.
3. Über die Generation Y wird derzeit viel geschrieben. Auch ich habe mir dazu schon meine Gedanken gemacht. Wie bewertest du die vielen (Vor-) Urteile?
Hier halte ich es mit George Orwell: “Every generation imagines itself to be more intelligent than the one that went before it, and wiser than the one that comes after it.”
Wahrscheinlich gibt es Unterschiede zwischen Generationen, ziemlich sicher gibt es Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Menschen. Diese zeigen sich wohl in der Affinität zu neuen Technologien (wobei sich die Jungen im Umgang mit alten Technologien dann wiederum sehr schwer tun) oder zum Beispiel im Umgang mit sozialen Medien (wobei die Offenheit auch bei Jungen Grenzen hat). Ich kann mir vorstellen, dass schwerwiegende Veränderungen im wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Umfeld eine Auswirkung auf Einstellungen wie den Psychologischen Vertrag oder allgemeine Werthaltungen haben, und es wäre naheliegend, wenn sich die jüngere Generation mehr Gedanken über die Zukunft von Erde und Menschheit machen würde als die ältere – aber ich glaube, dass es immer schon die jüngeren (und jung gebliebenen) Menschen waren, die Veränderungen initiieren wollten, während die anderen den Besitzstand zu wahren versuchten, den sie sich erarbeitet haben.
Ich unterstütze, wenn man die Befindlichkeiten und Erwartungen von Menschen erforscht, und erachte dies dann als nützlich, wenn dadurch selbstreflexive Prozesse bei den Angehörigen aller Generationen gestartet werden, welche den Umgang miteinander betreffen. Natürlich nützt diese Generationendifferenzierung zuerst der Beratungsindustrie. Ich befürchte aber, dass durch diese Generationenzuschreibung vielmehr eine Stereotypisierung gefördert wird, die dazu führt, sich voneinander abzugrenzen als voneinander zu lernen.
Denn auch mit diesem Zitat halte ich es: „The young ran faster but the elderly know the shortcut.“ Gehört habe ich es von Monique Siegel.
4. Wie begleitet Ihr bei der Uni Studierende bei der Integration in die Arbeitswelt? Hat sich diesbezüglich etwas verändert in den letzten 10 Jahren?
Wie erwähnt gibt es die Career Services der Universität Zürich erst seit 5 Jahren, in den meisten anderen universitären, technischen und Fachhochschulen sieht das ungefähr gleich aus. Deshalb ist das wohl die grösste Veränderung in der Hochschulwelt: Es gibt nun eine Stelle, die sich um den Übergang von Studium in den Beruf kümmert. Dies setzt einen neuen Fokus, weil bis anhin der Blick der Universität mit der Diplomfeier endete.
Wir versuchen nicht nur die Studierenden zu informieren und beraten, wir wollen auch in die Vorlesungen selbst. Hier möchten wir Bestrebungen fördern und unterstützen, die in den Fächern selbst geschehen. Man darf nicht vergessen: Unsere Studierenden sind primär wegen des Studiums da, deshalb sind entsprechende Massnahmen in den Fächern am sinnvollsten.
5. Stichwort Praktika: wie ist die heutige Situation? Was sind deine Tipps für Studenten und Unternehmen?
Studierende sind sich bewusst, dass ein Einstieg in die Wunschbranche oder -funktion ohne einschlägige Erfahrung schwierig ist. Deshalb erleben wir eine grosse Offenheit für Praktika während des Studiums. Aus unserer Sicht ist es jedoch essentiell, dass das Praktikum auch qualitativen Anforderungen genügt. Das Career Services Netzwerk der Deutschschweiz hat entsprechende Empfehlungen formuliert
6. Was sind deine Wünsche an Personalverantwortliche, die Absolventen rekrutieren?
Wie gesagt glaube ich, dass Arbeitgeber generell etwas mehr über ihren Tellerrand hinausschauen könnten und wenn sie sich zum Beispiel bzgl. des branchenspezifischen Erfahrungsniveaus oder der gesuchten Fachrichtung flexibler zeigten, könnte einiges an Mehrwert erzielt werden – auf Arbeitgeber wie Absolvierendenseite.
Dann wünsche ich mir das Bewusstsein, dass die Studierenden zuerst auf das Unternehmen aufmerksam gemacht werden müssten (Awareness). Ohne diesen Schritt ist es nicht verwunderlich, wenn Studierende auf die Avancen der Arbeitgeber nicht reagieren. Hier herrscht auf Arbeitgeberseite oftmals eine etwas verzerrte Sicht der Schuldzuweiseung, die wenig hilft: wenn Studierende das Unternehmen nicht kennen, liegt es weniger an den Studierenden als an den fehlenden Employer Branding-Aktivitäten der Unternehmen.
Und zuletzt freue ich mich über Rückmeldungen von Arbeitgeberseite zu den Kandidaten der Universität Zürich, deren Vorbereitungsstand im Bewerbungsprozess und natürlich über deren Integration in den Arbeitsprozess.
Roger, herzlichen Dank für die aufschlussreichen Antworten und viel Erfolg bei deiner Arbeit.