Human Capital Management – Das Interview
Interview mit Kuno Ledergerber, Leiter Zentrum für Human Capital Management an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW)
Kuno Ledergerber ist wohl einer der profiliertesten Kenner und Experten des hiesigen HR-Marktes. Seine jahrelange Erfahrung in Wirtschaft und Politik bringt er seit 2007 für die Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) in zahlreichen Funktionen ein. Zum Beispiel als Dozent in verschiedenen Weiterbildungsmasterstudiengängen und Leiter von Zertifikatslehrgängen (CAS Personalentwicklung, CAS HR Marketing). Seit letztem Jahr leitet er das Zentrum für Human Capital Management.
Kuno Ledergerber gilt als kritischer Zeitgenosse und scheut sich nicht, seine Meinung auch mal pointiert darzustellen. Diesen Ball nehme ich gerne auf und stelle ihm ein paar Fragen zur Rolle von HR (mit Fokus Recruiting) in Unternehmen und dem HR-Ausbildungswesen generell:
1. Kuno, du bist verantwortlich für das fachspezifische Wissen eines grossen Teils unseres HR-Nachwuchs und von HR-Führungskräften. Wieso entpuppt sich HR in der Praxis nach wie vor als nicht gerade innovationsfreudig?
Ich sehe dafür mehrere Gründe, wobei ich mit dem Ausdruck „innovationsfreudig“ etwas vorsichtig bin:
Erstens: Solange HR nur als Service-Abteilung verstanden wird, das kurzfristige Probleme lösen muss – wie zum Beispiel in der Personalbeschaffung – kann keine Innovationskultur entstehen. Diese muss nachhaltig konzipiert und mittel- bis langfristig umgesetzt werden. Voraussetzung dafür ist die strategische Positionierung von Human Capital innerhalb des Unternehmens.
HR soll Social Media nicht zum Selbstzweck nutzen
Zweitens: Die Erfolgsmessung und Führung von HR durch die Geschäftsleitung erfolgt oftmals durch kurzfristige quantitative Ziele. Es gibt zu oft keinen strategischen Leistungsauftrag, der klar kommuniziert wird. Dies sind organisatorische Rahmenbedingungen, die nicht gerade die Motivation fördern, sich im HR mit Innovation konkret auseinanderzusetzen.
Und nicht zuletzt wird Innovation an sich oftmals falsch verstanden. Innovation bedeutet eine Veränderung grundsätzlicher Art. Mit einem QR-Code auf einem Printinserat ist HR noch lange nicht innovativ. Gerade im Bereich der Social Media geht es nicht um Kosmetik und Selbstzweck, sondern um eine Umsetzung von konkreten strategischen Zielen.
2. Ist das eine Generationenfrage oder haben Verantwortliche im HR ganz einfach einen anderen Fokus?
Das hat nichts mit einer Generationenfrage zu tun. Viel mehr mit der Frage der Sozialisierung der Menschen. Woher kommen sie, welche Karriere haben sie durchlaufen? Ich unterstütze stark den Ansatz, dass HR-Führungspersonen nicht eine eindimensionale Karriere in HR durchlaufen sollten.
Die eindimensionale Karriere in HR ist ein Auslaufmodell.
Das ist meiner Meinung nach ein Auslaufmodell. Erfahrungen aus der Linie sind auf jeden Fall bereichernd und schärfen das Verständnis für die gesamtunternehmerische Kompetenz. Zudem befürworte ich sehr, dass auch Manager in Linienfunktion im Laufe ihrer Ausbildung den Bereich „Human Capital Management“ besser verstehen lernen. Nur so kann ein ganzheitliches innerbetriebliches HR-Verständnis erzielt werden.
3. HR-Abteilungen sind oftmals Spielball variabler Marktentwicklungen. Laufen die Geschäfte, müssen im Nu neue Mitarbeiter angestellt werden. Läuft’s schlecht, wird rationalisiert. Es bleibt keine Zeit für ganzheitliche und nachhaltige Ansätze. Wie kann dieser Kreislauf gebrochen werden?
Zuerst einmal: scheinbar funktioniert dieser Teufelskreis von Kurzfristigkeit… obwohl sie Unternehmen enorm viel kostet. Der Leidensdruck ist anscheinend noch nicht gross genug. Solange HR, und das betrifft auch die Rekrutierung als Teil von HR Marketing, nicht als unternehmensstrategisches Thema verstanden wird, wird sich daran leider auch nichts ändern. Da mangelt es vielerorts an Verständnis von Human Capital als unternehmensstrategischer Aufgabe in den Geschäftsleitungen. Da wiederhole ich mich. Aber sind es nicht die Fähigkeiten und Erfahrungen – oder wie wir es betrachten, das Human Capital der Mitarbeiter, die dem Unternehmen Perspektive und Entwicklung, und vor allem wirtschaftlichen Erfolg erst ermöglichen?
Unternehmensleitungen müssen Human Capital als strategischen Faktor erkennen.
In quartalsgetriebenen Abhängigkeiten ist es nicht einfach, die verschiedenen Wirkungskräfte und Spannungsfelder zu erkennen und vor allem zu gestalten. So bleibt es beim kurzfristigen Reagieren anstatt einem langfristigen Planen. Was es braucht ist zweierlei: die Unternehmensleitungen müssen Human Capital als einen strategischen Faktor erkennen, und HR ist gefragt, mehr unternehmerisches Denken zu beweisen.
4. Mit der aktuellen politischen Grosswetterlage wird es für Firmen in der Schweiz kaum einfacher, qualifizierte Fachkräfte zu finden. Wie sollen sich Unternehmen diesbezüglich wappnen?
Ich empfehle, nicht in operationale Hektik zu verfallen. Es wäre ein guter Zeitpunkt, sich nun endlich den strategischen Fragen zu stellen, die schon längst auf dem Tisch liegen – und die immer wieder dem operativen Alltag zum Opfer fallen. Von Bedeutung ist: wie pflegt das Unternehmen seine Beziehungen auf dem Arbeitsmarkt – sowohl extern auch als intern? Und bitte nicht nur die Kosten in den Vordergrund stellen, sondern das Thema Rekrutierung strategisch einbetten. Dazu meine Ratschläge:
- Nehmen Sie als Unternehmen die Aufgabe des Beziehungsmanagements zur Ihren Mitarbeitern ernst! Zeigen Sie Loyalität!
- Machen Sie Ihre Loyalität sichtbar: Verzichten Sie auf unnötige Frühpensionierungsprogramme und dergleichen. Nehmen wir endlich das Thema Employability ernst, zum Beispiel durch die Förderung von älteren Mitarbeitenden.
5. Du gehörst selber nicht mehr ganz zu den Digital Natives 😉 . Wie beurteilst du die Chancen, die sich dem Recruiting durch Social Media eröffnen?
Das Erkennen und Anerkennen der Bedeutung und Wichtigkeit von Social Media hat nichts mit dem Geburtsjahr zu tun. Auch als Digital Immigrant stelle ich fest, dass wir einen Veränderungsprozess durchlaufen. Vielleicht ähnlich demjenigen, den ich als Kind in Erinnerung trage, als TVs in den Wohnzimmern Einzug fanden. Was hat man damals über mögliche negative Folgewirkungen diskutiert…
Es gilt dabei, die Veränderung anzuerkennen, sie zu studieren und sich mit ihnen vertraut zu machen. Das konstruktive Auseinandersetzen mit Social Media ist unabdingbar. Es ist halt nun einmal Fakt, dass die Nutzung mobiler Endgeräte dramatisch schnell zunimmt und über Firmen transparenter denn je Informationen verfügbar sind. Dann ist zu überprüfen, inwieweit die Social Media die HR Strategie unterstützen können. Voraussetzung dafür ist natürlich eine HR-Strategie. Social Media können dann in verschiedenen Bereichen im HR eine Rolle spielen: als Bestandteil der Markenführung, im Dialog mit potentiellen Kandidaten, als Instrument der Mitarbeiterbindung (Stichwort: transparente Kommunikation), beim Recruiting etc.
Das konstruktive Auseinandersetzen mit Social Media ist unabdingbar.
Es ist daher unumgänglich, das Thema Social Media zu behandeln, und unternehmensspezifisch zu entscheiden, wie diese sinnvoll die Umsetzung der HR Strategie begleiten kann. Social Media nimmt es den Unternehmen jedoch nicht ab, Märkte zu analysieren und zielgruppengerichtete Massnahmen zu entwickeln. Dabei können Social Media eine Rolle spielen – aber nicht zwingend.
Kuno Ledergerber, vielen Dank für die wertvollen Ansichten und das spannende Gespräch!
Wer sich einen vertieften Überblick zum Thema Social Media im Recruiting verschaffen möchte, dem sei dieser zweitägige Kurs wärmstens empfohlen!
Für mich sehr wertvolles Interview, das eine Wahrheit äussert, nämlich Separation zwischen HR und Strategie des Unternehmens.
Das ist unheimlich schwierig HR mit strategischem Management zu integrieren, wenn Unternehmen über keine Strategie verfügen und sind nur auf operative Tätigkeit fokussiert.
Das Problem mit strategischer Planung ist meiner Meinung nach eine fehlende Vision. Grosser Teil der Unternehmen vor allem KMU haben keine Vision, die eine Voraussetzung für die strategische Planung darstellt.
Hallo Emilia
da bin ich ganz bei dir. Die Verzahnung von Vision, strategischer Ausrichtung und operativen Tätigkeiten sind unabdingbar für nachhaltigen Geschäftserfolg. Und dabei muss der «Faktor Mensch» zwingend strategisch mit einbezogen werden. Und dies nicht nur mit Lippenbekenntnissen. Wie es scheint, ist diese Ansicht leider (noch) nicht flächendeckend gelernt und gelebt…
Viele Grüsse
Michel
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