Zeit, aufzuwachen! Ein Kommentar zur Studie
Studien… sie begleiten Experten und Interessierte gleichermassen. Oftmals hilfreich, teilweise fragwürdig. „Trau keiner Studie, die du nicht selber…“. Sie kennen das. Oftmals sind sie erwünscht und doch teilweise unnötig. Je nach Verfasser, Auftraggeber und Methodologie mit mehr oder weniger Glaubwürdigkeit versehen.
Ich selber lese Studien. Zumindest fast alle für HR Relevanten. (Ok, manchmal überfliege ich sie auch.) Die Summe der Studien hat dann schon irgendwie Aussagekraft. Derzeit liegen zwei neue Studien vor, auf die ich richtiggehend gewartet habe. Es ist dies einerseits die Studie „Recruiting Trends 2014“ vom CHRIS (im Auftrag von Monster.de) und andererseits Eva Zils’ Befragung zur Nutzung von Social Media im HR in den Märkten in DE, AT und CH, bestellbar hier. Von der Ersten liegen leider keine neuen Ergebnisse zum Schweizer Markt vor, da sie nicht mehr erhoben werden. Da ich die Studie damals bei Monster selber während 5 Jahren bis 2012 eng begleitet habe, vertraue ich dem Verfahren und entsprechend den Resultaten voll und ganz. Bei Eva Zils’s Untersuchung haben 450 Fachleute aus der Schweiz die 16 Fragen beantwortet.
Die wesentlichen Erkenntnisse der Studie hat Eva in einem Gastbeitrag auf dem Blog von jobs.ch vorgestellt. Auf die vorgestellten Resultate möchte ich in der Folge eingehen:
1. Jobportale
Die Nutzung von Jobportalen ist in der Schweiz besonders stark: 96% der Befragten setzen auf diesen Kanal, um Personal anzuwerben. Damit sind die Schweizer die stärksten Nutzer dieses Recruitig Instruments im Vergleich mit den Österreichern und Deutschen.
Kommentar:
Das Resultat erstaunt nicht wirklich. Seit der Übernahme von jobs.ch durch Tamedia und Ringier herrscht punkto Reichweite bei traditionellen Online-Jobbörsen praktisch ein Quasi-Monopol. Und da jobs.ch bekanntlich als Partner für die Gewinnung der Umfrageteilnehmer seinen Kundenstamm angeschrieben hat, ist es ein klitzeklein wenig logisch, dass diese auch auf Jobbörsen setzen. Die absolute Höhe von 96% (in DE und AT je 88%) dünkt mich extrem hoch. In einer Monster.ch Erhebung von 2012 (repräsentative Befragung der Top 500 Unternehmen in CH) waren es ca. 70%. Diese Diskrepanz ist erklärungsbedürftig, aber nicht weiter schlimm. Dass Jobbörsen im Recruiting-MediaMix weitestgehend gesetzt sind, ist nachvollziehbar. Siehe aber Punkt 7: man kann auch zuviele Bewerbungen generieren…
2. Karriereseiten
Die eigene Firmen Karriereseite hat jedoch vergleichsweise zu 2012 ein wenig an Beliebtheit für die Rekrutierung verloren: Während 2012 noch 86% der Unternehmen die eigene Homepage einsetzten, sind es Ende 2013/Anfang 2014 “nur” noch 72%.
Kommentar:
Diese Erkenntnis dünkt mich fragwürdig. Sie widerspricht meinem Bauchgefühl, der Logik und dem, was ich aus vergangenen Studien weiss. So haben in der Monsterstudie in 2012 88% der Top 500 in CH die offenen Stellen auf der Unternehmensseite ausgeschrieben. Anteilsmässig zumindest mehr als auf Jobbörsen. Dies deckt sich mit Eva’s Erhebung aus 2012. Ich kann schlichtweg nicht glauben, dass Firmen in solch grosser Anzahl zuerst auf Jobbörsen ausschreiben und ihre eigenen Karriereseiten nicht berücksichtigen. Ein Rückgang um 14% ist mehr als nur ein kleiner Knick in der Statistik. Und falls dem tatsächlich so sei, sollten sich Unternehmen ernsthafte Gedanken machen über ihre Rolle und Wirkung als Arbeitgeber und zum öffentlichen Auftritt grundsätzlich. (Siehe auch Henner Knabenreich’s Beitrag zu Karriereseiten hier).
3. Personalberater
Der Einsatz von Personalberatern ist in der Schweiz im Vergleich mit den anderen untersuchten Ländern ebenfalls am höchsten: 53% arbeiten mit Beratern und Headhuntern zusammen.
Kommentar:
Aha, wen wundert’s? Ja, qualifiziertes Personal ist in der Tat nicht immer einfach zu finden. Wenn man sich die weiteren Aussagen der Studie anschaut, verwundert mich das Resultat jedoch nicht. Die anhaltende – ich würde fast schon sagen „Ignoranz“ – zielgerichteter Vorgehensweisen in Sachen Employer Branding und ganzheitlichem Personalmarketing (hier zähle ich jetzt mal Social Media einfach mit dazu) lässt in der Konsequenz nichts weiteres zu, als den Säckel zu öffnen und diesen Branchenzweig zu stützen. Gegen den ich notabene nichts per se habe. Nicht umsonst sind wir vermutlich Weltmeister in „Personalberater per Capita“. Scheinbar ist nach wie vor genügend Geld da, es in kurzfristige Mitarbeiter-Akquisitionsmassnahmen zu investieren. Nachhaltigkeit geht anders… Mein Tipp an Firmen: bitte weiter über den Fachkräftemangel klagen.
4. Social Media im Recruiting
Social Media werden noch immer so gut wie gar nicht für die Personalsuche eingesetzt: 22% nutzen soziale Netze, um Kandidaten aktiv anzusprechen und wiederum 22% betreiben damit Personalmarketing beziehungsweise Employer Branding.
Kommentar:
Social Media ist Internet-Zeugs und somit des Teufels! Alles wird mitgelesen und die dort Aktiven sind Selbstdarsteller und Profilierungsneurotiker. Ganz ehrlich: davon dürfte es in manchen HR-Abteilung etwas mehr geben… Natürlich sind Social Media nicht automatisch erfolgsversprechend (definiere Erfolg). Natürlich passt nicht jeder Kanal für jedes Bedürfnis. Natürlich gehören Social Media in einen Gesamtkontext, der über HR hinausgeht. Natürlich ist die professionelle Gestaltung und v.a. der Unterhalt nicht gratis. Und natürlich braucht es viel Wissen, wie dieses Zeugs funktioniert… Mein Tipp: am besten weiterklagen und die Augen vor sich verändernden Realitäten verschliessen…
5. Stellenbesetzungen über Social Media
Demnach wurden auch so gut wie keine Stellen anhand von Social Recruiting besetzt: 60% haben keinerlei Personal darüber gefunden, 20% haben zwischen 1-5 Mitarbeiter über soziale Medien eingestellt.
Kommentar:
Beziehen sich die 60% nicht-erfolgreichen Suchenden auf die 22%, die’s probiert haben? Das wäre nicht unwichtig zu wissen. Oder ist der Umkehrschluss, dass 40% der Grundgesamtheit erfolgreich über Social Media rekrutieren konnten? Mein Tipp an Firmen: wenn Sie’s nicht tun, macht’s vermutlich jemand anders. Zum Beispiel der Personalvermittler. Und der arbeitet ungern gratis.
6. Zeit für Social Recruiting
Noch mehr Schweizer Personaler verbringen gar keine Zeit mit Social Media Recruiting als 2012: 53% verbringen aktuell keine Zeit damit, während es im Sommer 2012 nur 32% waren.
Kommentar:
HR als Social Media Verweigerer. Passt. Facebook ist ohnehin nur Bildli-Züügs, Xing eine Event-Plattform und LinkedIn funktioniert nur international. Wenn ich in (nicht repräsentativen) HR-Workshops über 50% Teilnehmende habe, die noch nicht einmal über ein eigenes Xing-Profil verfügen, erstaunt mich gar nichts mehr. Sind sich diese Personalfachleute überhaupt bewusst, dass sie ihre Firma gegen aussen vertreten? Ihr ein Gesicht geben? Mein Tipp: neuen Job suchen oder sich Wissen aneignen.
7. Mobile Recruiting
Mobile Recruiting scheint (noch?) kein richtiges Trendthema in Schweizer Personalabteilungen zu sein, sogar noch weniger als bei der letzten Erhebung: 2012 planten noch 39% der Unternehmen, ihre Online-Auftritte mobile-tauglich zu gestalten; 2014 sind dies nur noch 21%, wobei der Prozentsatz der tatsächlich mobile-optimierten Karriereseiten kaum gestiegen ist. 2012 waren 15% bereits für mobile Endgeräte optimiert; 2014 liegt die Zahl bei 20%.
Kommentar:
Obwohl die Schweiz die weltweit höchste iPhone Dichte hat, mitunter am meisten Breitbandanschlüsse und über eine unheimlich hohe Nutzung mobiler Endgeräte verfügt, ist das Thema „Mobile und Recruiting“ so weit weg von Personalern wie ich von der ersten bemannten Mars-Mission.
Das Thema „OneClickBewerbung“ (oder eben viel besser: Interessensbekundung) wird unter Experten eifrig diskutiert (z.Bsp. hier ). Das muss auch gar nicht heissen, dass jede Bewerbung über Mobile ausgelöst werden soll. Ich mag auch kein hinterlegtes Standard-Motivationsschreiben über ein Formular mit meinem Xing Profil als Bewerbung einreichen. Aber wenigstens die Anzeigen soll man Lesen können. Unterwegs! Und bei schwierig zu besetzenden Stellen kann eben eine Interessensbekundung die Anbahnung eines spannenden Kandidaten-Kontaktes sein. Response-Kanäle können, nein SOLLEN je nach Zielgruppen unterschiedlich sein! Wie die Ausschreibung auch.
Und wenn ich schon dabei bin: bitte grad auch keine Klagen mehr über Stellen, die über 300 Bewerbungen generieren. Selber schuld, meine ich… Media-Mix, Streuverlust, nicht-adäquate Zielgruppe, kennsch?
Zeit, aufzuwachen!
Hallo Michel,
ich gebe Dir recht, dass manche Inhalte einer tieferen Analyse bedürfen. Ich für meinen Teil habe mir deswegen nur ein Faktum herausgenommen, das meinen Social Media Fokus in Business-Netzwerken betrifft und Hurra Hurra eine ‹hinterfragungswürdige› Konklusio gefunden, die meine Arbeit der letzten 12 Monate bestätigt.
http://www.networkfinder.cc/socialrecruiting/xing-unternehmensprofile-der-teich-aus-dem-personaler-fischen/
Grüsse aus Wien
Der MiSha
Hi MiSha,
danke für deinen Kommentar und den Einblick in deine Konklusio.
Ich bin sicher, dass bei genauerer Analyse noch zahlreiche interessante Aussagen gemacht werden könnten. In Summe bleibt für mich der Fakt hängen, dass gerade die Schweiz in Sachen sinnvoller Nutzung von Social Media im HR-Kontext noch ungeheuren Nachholbedarf hat. Neu jetzt auch mit deutlichem Abstand zu unseren beiden Nachbarländern in AT und DE und teilweise negativen Trends punkto Adaption von Social Media.
Viele Grüsse
Michel
hi michel
zum Thema Mobile:
Hat wohl auch etwas mit den Jobplattformen zu tun. Die Jobplattformen wie bspw. jobs.ch, jowinner.ch etc bieten zwar ein schöne Job-App aber die über die Plattform DIREKT ausgeschriebenen Inserate werden nicht Mobile-optimiert dargestellt!
Ich glaube Du bist aber näher bei bei Deiner «Mars-Mission» als Du denkst. Von unseren Kunden haben bereits über 50% Mobile-optimierte Stelleninserate (welche durch uns auch auf jobs.ch Mobile-optimiert dargestellt werden) und wir sind laufend an Mobile-optimierten Stellenmärkte zu bauen. Am Ende des Tages geht es halt mit allem nie so schnell man das Gerne hätte….aber den Atronauten-Food kannst Du schon mal bestellen 🙂
Hi Rico
Guter Input! Wenn Kunden und Technologie-Anbieter nur alle so innovativ wären wie ihr… wird in dem Fall Zeit, dass ihr eure Kundenbasis auch auf KMUs ausbreitet! 😉
Übrigens – da muss ich eine Lanze für meine Ex-Kollegen von Monster brechen: Bei Monster werden Anzeigen standardmässig mobile-optimiert dargestellt!
Viele Grüsse
Michel, noch nicht ganz im Raumanzug aber bald startklar 😉
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